Wie muss für euch persönlich die Welt von morgen aussehen? Und wo gibt es das beste Essen, das ihr jemals gegessen habt? Die Antworten auf diese Fragen (und viele mehr) gibt es einmal im Monat in unserer Brotzeit, dem Business-Fragebogen von Kitchen Stories.
“Alles, was wir tun, ist darauf ausgerichtet, die Zukunft zu verstehen, Veränderungen möglich zu machen und Utopien Wirklichkeit werden zu lassen.”
Lukas: Wenn man sich Gedanken darüber macht, wie die Welt von morgen aussehen muss, sollte man sich für den Moment mal vergegenwärtigen, wie sie aller Wahrscheinlichkeit nach aussehen wird, wenn wir so weitermachen wie wir das gerade eben tun, insbesondere im Bereich der Wirtschaft. Wir haben eine Wirtschaft, die ihre eigenen Grundlagen zerstört: Ökosysteme und funktionierende soziale Systeme und durch ihren Wachstumsimperativ den Planeten bis zur menschlichen Unbewohnbarkeit degeneriert.
Die Frage ist hier eher, wie wirtschaftliches Wachstum aussehen kann, welches ganz ähnlich wie das in der Natur funktioniert, also Ökosysteme nicht degradiert, sondern regeneriert und langfristig einen positiven Beitrag dazu leistet, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten und zu erneuern. Und genau daraus ergibt sich unsere Vision für Unternehmen in einer Welt von morgen, mit einer Wirtschaft, die ein lebenswertes Morgen erhält und ermöglicht.
Jule: Wir leben ja verrückterweise in Zeiten, in denen das immerwährende Narrativ einer besseren Zukunft an sein Ende zu kommen scheint. Das ist kulturgeschichtlich ein imposanter Wandel - diese Transformation müssen wir in unseren Köpfen erst einmal begreifen. Das geht gegen enorm viele gewohnte Denkmuster.
Mich als Zukunftsforscherin betrifft dieser Wandel im ganz Besonderen, denn ich werde in diesem Kontext oft gefragt, wie es überhaupt noch möglich ist, ein positives Bild von Zukunft zu zeichnen, einen Möglichkeitsraum zur Ausgestaltung, während wir alltäglich in immer stärkerem Maße medial, aber auch lebensweltlich mit der sukzessiven Zerstörung unserer Lebensgrundlagen konfrontiert sind.
Entsprechend arbeiten wir in vielen unserer Vorhaben - egal ob Innovationsprojekte, Vorträge, oder eigenen Ventures abstrakt gesehen daran, die individuelle Wirksamkeit kollektiv vergrößern, einem Gefühl von Angst ein Gefühl der Selbstwirksamkeit, der Kreativität entgegenzustellen. Wir brauchen radikal kreative Lösungen, die unser gesellschaftliches Zusammenleben in regenerativen Geschäftsmodellen auch in Zukunft erhalten werden - da geht es nicht um inkrementelle Innovationen, um das Verbessern etablierter Ansätze im Kleinen, sondern um grundsätzlich andere Arten von Wertschöpfung, die im besten Sinne regenerativ wirken.
Um zur Frage zurückzukommen: Unsere Welt der Zukunft soll lebenswert sein. In unserer Welt der Zukunft hat jeder Mensch ein kreatives Selbstbewusstsein, also die Sicherheit, mit dem eigenen Tun etwas verändern zu können. Mit diesen Eigenschaften werden im Beruflichen und Privaten positive Veränderungen angestoßen für ein individuell und kollektiv glückliches Leben.
Lukas: Das heißt, wir werden verstanden haben, wie wir als Menschheit (wieder!) ein konstruktiver Akteur im planetaren Ökosystem sein können. Das klingt jetzt vielleicht sehr nach Klischee, nach grüner Romantik, back to the roots und Garten Eden. Das ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Angesichts des Ausmaßes der Herausforderungen werden wir gar nicht umhinkommen, den technologischen Fortschritt der letzten Jahre als essenzielle Grundlage dafür zu nutzen - nun allerdings nicht mehr als Selbstzweck reinen wirtschaftlichen Wachstums, sondern konsequent als Mittel zum Zwecke menschheitlicher Resilienz.
Jule: Auf die Innovationskraft und Antriebskraft von Mitarbeitenden setzen! Denn oft genug wird Veränderung rein „von oben“ vorgegeben. In Sachen Nachhaltigkeitstransformation sind Mitarbeitende jedoch häufig schon viel weiter als das Management, das die letzten Jahre eher damit verbracht hat, Nachhaltigkeit wenn überhaupt, dann wahlweise in die Compliance, der CSR- oder der Marketingabteilung abzuschieben. Für Mitarbeitende ist die Sache aber häufig schon lange Lebenszweck oder mindestens mal eine Passion und das kann und sollte man gezielt nutzen. Denn gerade, wenn es um Innovationsentwicklung geht, ist der persönliche Antrieb der am Prozess Beteiligten ein ganz wichtiges Element für Erfolg.
Lukas: Und das meinen wir nicht im Sinne reiner „grassroots“ Initiativen. Auch „von oben“ muss es zu einem strategischen Umdenken kommen, denn nachhaltiges oder gar regeneratives Wirtschaften wird im 21. Jahrhundert der Wettbewerbsfaktor schlechthin sein. Die Nachhaltigkeitstransformation ist strategisch ein in keiner Weise zu unterschätzender Megatrend, der in seiner Dynamik disruptiv und vor allem nicht mehr aufzuhalten ist.
Nachhaltigkeit in den Kern aller Innovationsvorhaben zu integrieren und letztendlich dann auch in allen anderen Abteilungen - das ist der einzig sinnvolle Weg für alle, die sich von der reinen Kurzfristbetrachtung lösen. Und selbst kurzfristig zahlt es sich mit Blick bspw. auf die aktuelle Gaskrise bereits aus - regenerative Energien sorgen bereits im hier und heute für betriebswirtschaftliche Resilienz.
Lukas: Mit HOLYCRAB! widmen wir uns unternehmerisch einem der größten Treiber des aktuell rasant voranschreitenden Artensterbens: invasiven Arten. Eine Tier- oder Pflanzenart gilt als invasiv, wenn sie von Menschen von einem in ein anderes Ökosystem verbracht wurde und dort negative Auswirkungen hat wie bspw. das Zurückdrängen von anderen Arten, etc. In Berlin ist der Rote amerikanische Sumpfkrebs zu so einer umgangssprachlichen „Plage“ geworden, die in verschiedenen städtischen Gewässern für Probleme sorgt. Die Art ist allerdings gleichzeitig auch der meistgezüchtete Flusskrebs der Welt.
Für gewöhnlich wird die Art für die Gastronomie massenhaft aus China oder den USA importiert, weshalb wir es fragwürdig fanden, dass ein solcher Krebs hier bei uns vermeintlich keine natürlichen Fressfeinde im Ökosystem vorfindet. Was ist denn mit uns Menschen? Mit HOLYCRAB! machen wir also die Plage zur Delikatesse und die Menschen wieder zu konstruktiven Akteur*innen in der Nahrungskette, die mit Genuss ihr eigenes Ökosystem retten.
Jule: Nachdem wir das Konzept ein Jahr lang mit einem Food Truck auf den Straßen Berlins erprobt haben und in der Pandemie dann knapp der Insolvenz entgangen sind, stehen unsere Produkte mittlerweile deutschlandweit im Handel. In diesem Jahr sind wir außerdem selbst in die Fischerei eingestiegen. Aktuell sind unsere beiden Fischer im Tiergarten und Britzer Garten in Berlin aktiv und entnehmen große Mengen invasiver Flusskrebse, die dort eigentlich nicht hingehören, um deren Ausbreitung zu verhindern. Damit sind wir Teil einer Naturschutzmaßnahme des Berliner Senats.
Die Vermarktung erfolgt an den Großhandel sowie an die Gastronomie - im Horvath steht der Flusskrebs bspw. täglich auf der Karte - und es gibt auch die Möglichkeit über einen Onlineshop deutschlandweit frische Berliner Krebse zu bestellen. Oder ihr macht mal wieder einen Ausflug ins KaDeWe - in der Delikatessenabteilung im 6ten Stockwerk kann man sich ebenfalls für zuhause eindecken.
Lukas: In Zukunft werden wir uns mit HOLYCRAB! noch stärker mit der Erarbeitung von Grundsätzen einer regenerativen Fischerei beschäftigen und damit nachhaltigen Fisch komplett neu definieren. Wir wollen eine Art von Bewirtschaftung von Gewässern umsetzen, die zu mehr Biodiversität und höherer Gewässerqualität führt, sodass Gewässer außerdem sehr viel resilienter gegenüber Effekten des Klimawandels werden.
Jule: Klar, manchmal wollen wir schon den Kopf in den Sand stecken und überlegen, ob es nicht doch schon zu spät ist und wir lieber einfach am Strand sitzen und ein paar Cocktails trinken sollten. Und vielleicht wäre das sogar die Lösung, wenn es alle so halten. Letztendlich ist es aber doch so, dass wir alle immer und ständig Zukunft gestalten - ob bewusst oder unbewusst. Selbst wenn wir nichts tun, passiert auch etwas, nur wahrscheinlich nicht das, was wir uns gewünscht hätten.
Und daher haben wir uns lieber dafür entschieden, den ganzen Kahn möglichst in eine Richtung zu schieben, den wir für wünschenswert halten. Vor allem, weil wir die Möglichkeit sehen, dass Menschen positive Akteure auf diesem Planeten sein können. Die Verzweiflung kommt oft von der Erkenntnis, dass es besser wäre, wenn es uns alle nicht gäbe. Doch wer sich mit Mechanismen einer regenerativen Wirtschaft beschäftigt, weiß: es geht auch anders! Und genau da wollen wir hin.
Jule: Für mich wächst das beste Essen buchstäblich an den Bäumen. Ich liebe es, in meiner alten Heimat der Pfalz durch die Weinberge zu wandern und dort die Feigen direkt vom Wegesrand zu genießen. Eines meiner Lieblingsrestaurants aus den letzten Jahren ist das Leuchtendroter im Ostend von Frankfurt am Main. Dort haben wir auch den Abend vor unserer Hochzeit verbracht und Küche und Ambiente sind einfach großartig!
Lukas: Ok dann fange ich auch mit den einfachen Dingen an. Die Kässpätzle meiner Oma kann kein Sternerestaurant schlagen! Für sicherlich ein sehr aufregendes Menü wollen wir in nächster Zeit bei unserem guten Bekannten Jonathan Kartenberg im eins44 in Berlin vorbeischauen.
Vielen Dank für das Interview.